Am vergangenen Montag sind 120 Gäste der Einladung von Steffi Lemke, naturschutzpolitische Sprecherin und Harald Ebner, Sprecher für Gentechnik und Bioökonomie und der grünen Bundestagsfraktion gefolgt, um den Gründen für das andauernde dramatische Insektensterben nachzugehen. Die geladenen Expert*innen und engagierten Besucher*innen erlebten eine spannende Veranstaltung mit intensiven Diskussionen, basierend auf den Eindrücken aus Wissenschaft, Politik und Alltagserfahrungen der Besucherinnen und Besucher.
Schon während der gesamten Legislaturperiode stehen das Insektensterben und die Bedrohung der Bienen im Fokus der parlamentarischen Arbeit bei der grünen Bundestagsfraktion. Eine kürzlich veröffentlichte und von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebene Studie, konnte beispielsweise die absurde Entwicklung aufzeigen, dass Populationen von Stadtbienen sich besser entwickeln, als ihre Artgenossen auf dem Land. Pestizide, Insektizide und die Arbeitsweisen der industriellen Landwirtschaft setzen Bestäubern im ländlichen Raum massiv zu. Der Bundesregierung sind diese Konsequenzen für die Natur bekannt, wie die Antworten auf eine Kleine Anfrage von Steffi Lemke und Harald Ebner zeigen – ernsthafte Maßnahmen gegen das Artensterben sind jedoch nicht erkennbar.
Bei einem weiteren Fachgespräch mit Expert*innen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, sollte nun eine Bestandsaufnahme des Artensterbens bei Insekten und Bestäubern erfolgen und insbesondere auch die Rolle von den unter besonderem Verdacht stehenden Neonikotinoiden geprüft werden.
Nach einer Begrüßung durch den Fraktionsvorsitzenden Dr. Anton Hofreiter übernahm Steffi Lemke eine erste thematische Einführung in die Veranstaltung. Mit dem Konzept der planetaren Grenzen wies Sie darauf hin, dass entscheidende Kipppunkte beim Artensterben bereits weit überschritten sind. Noch weiter sogar, als im Bereich der allgegenwärtigen Klimakrise, was noch einmal deutlich macht wie unterrepräsentiert das Thema Artensterben in seiner Dramatik in den deutschen und internationalen Diskursen ist. Doch wenn es um ernsthafte Maßnahmen für den Artenschutz ginge, betriebe die Große Koalition Arbeitsverweigerung, obwohl klar sei, dass die deutschen Biodiversitätsziele weit verfehlt würden.
Auch der erste Vortrag des Abends lieferte bedenkliche Statistiken zur Populationsentwicklung von Bestäubern in den letzten Jahrzehnten. Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und Co-Chair für das Globale Assessment des Weltbiodiversitätsrat IPBES, gab einen detaillierten Einblick in die internationale Dimension des Artensterbens. Hervorstechend waren hierbei insbesondere die massiven Völkerverluste bei Honigbienen die in der nördlichen Hemisphäre zu verzeichnen sind. Für das Insektensterben identifizierte Prof. Settele insgesamt sieben wesentliche Verursacher: Landnutzungsänderungen, intensives Landwirtschaftsmanagement, Pestizide, Generosion, Krankheiten, Klimawandel und invasive Arten.
Eine mehr nationale Perspektive auf das Insektensterben wurde in der Folge von Dr. Melanie von Orlow vom Naturschutzverbund (NABU) eingenommen. Die promovierte Biologin führte die Besucher in Ihrem Vortrag auf die Spurensuche des Insektensterbens durch ganz Deutschland. Ob Sachsen, Hessen, Baden-Württemberg oder Nordrheinwestfalen, die Zahlen sind alarmierend. Frau Dr. Orlow kommt zu dem Fazit es ist nicht 5 vor, sondern längst 5 nach Zwölf. Ein beeindruckender Appell an die Politik.
Im zweiten Block der Veranstaltung sollte die Rolle der besonders schädlichen Pestizide aus der Gruppe der Neonikotinoiden analysiert werden. Vom Schweizer Institut für Bienengesundheit war deshalb extra Prof. Peter Neumann angereist, um den Einfluss von Neonikotinoiden auf die Gesundheit der Insekten zu beleuchten. Insbesondere die sublethalen Effekte, beispielsweise den Einfluss auf die Fruchtbarkeit oder Fitness der Bienen veranschaulicht Neumann detailliert. Er betont jedoch, dass Honigbienen durch ihre Organisation in Völkern deutlich Robuster auf einzelne Verluste von Individuen reagieren können, als dies bei anderen Arten der Fall ist. Andere Arten wie beispielsweise Solitäre Bienen sind von solchen sublethalen Effekten deutlich Stärker bedroht. Dementsprechend sollten EU-Zulassungssysteme für Pestizide in Ihrer Methodik nicht ausschließlich auf die Effekte für Honigbienen beschränken. Dies verzerrt die wahren Konsequenzen für andere Insektenarten und ist nicht im Sinne des Vorsorgeprinzips.
Als letzte Referentin des Abends stellt schließlich Christiane Huxdorff Landwirtschaftsexpertin von Greenpeace eine neue Auftragsstudie der Universität Sussex vor. In der Studie werden die Ergebnisse zahlreicher seit 2013 erschienener Studien über den Zusammenhang von Neonikotinoiden und dem Insektenserben zusammengefasst. Die Studie bestätigt die erhöhten Risiken für Insekten bei der Nutzung von Neonikotinoiden. Greenpeace plädiert dementsprechend für ein Totalverbot dieser besonders gefährlichen Pestizide.
Auch in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum werden Argumente für ein mögliches Totalverbot von besonders schädlichen Pestiziden deutlich. Aber auch die bevorstehende Neuverhandlung der Europäischen gemeinsamen Agrarpolitik wird als zwingender Mechanismus identifiziert um die konventionelle Landwirtschaft Bestäubergerecht umzuwandeln. Hier gilt es den Druck auf die Bundesregierung weiter hochzuhalten. Die nächste Möglichkeit dazu ergibt sich schon Ende März auf der Internationalen Bienenkonferenz in Berlin.
Die Vorträge und die abschließende Diskussion machten allerdings auch deutlich, dass auch ein umfassendes Verbot der Neonikotinoide allein nicht ausreicht, um die Insekten zu retten, da auch andere Pestizide und weitere Faktoren zum Problem beitragen. Harald Ebner betonte daher in seinem Schlusswort, dass neben einem Ausstieg aus den Neonikotinoiden eine wesentliche Reduktion des gesamten Pestizideinsatzes und eine Ökologisierung der Landwirtschaft insgesamt nötig seien, um Bestäubern und anderen Nützlingen wieder gute Lebensbedingungen zu verschaffen. Die Landwirtschaft dürfe nicht weiter an dem Ast sägen, auf dem sie selber sitzt, so Ebner.
Agrargelder sollten zukünftig an Leistungen für das Gemeinwohl wie für Umwelt- und Naturschutz, Klimaschutz und besonders artgerechte Haltung geknüpft werden. Wichtig sei zudem eine Umschichtung von Forschungsgeldern zugunsten nichtchemischer Alternativen zu Pestiziden und die Förderung von Anbausystemen mit einer größeren Blütenvielfalt. Auch die Risikobewertung für Pestizide in den Zulassungsverfahren müsse erheblich verbessert werden, um Bestäuber besser zu schützen.
Wir bedanken uns bei den Referent*innen und Besucher*innen für eine spannende Veranstaltung!
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